Ermittlungsakten sind für den Strafverteidiger häufig dröge, alles scheint sich zu wiederholen.
Ich habe eine Ermittlungsakte einer Staatsanwaltschaft auf dem Tisch, zahlreiche Bände und Sonderbände mit Telephonüberwachung und Observationen.
Irgendwas ist bei einer der Observationen schief gelaufen, der Beschuldigte hat sie bemerkt und sich dann entsprechend verhalten. Im Bericht der Kriminalpolizei liest sich das dann so:
Insbesondere vor dem Hintergrund der äußerst konspirativen und geradezu paranoiden Vorgehensweise des RUDI RATLOS die im Zuge der Observationsmaßnahme ersichtlich wurden ist zu erwarten, daß er seine bekannten Telephonanschlüsse wechselt um Überwachungsmaßnahmen zu erschweren.
Tja, meine Herren Ermittlungspersonen: Rudi Ratlos leidet doch nicht unter Verfolgungswahn. Er wird verfolgt!
Ich bin mir allerdings sicher, hätte er einem Psychater berichtet, was er gesehen hat, hätte dieser dieselbe Diagnose gestellt: F22.0
https://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gif00Andreas Jedehttps://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gifAndreas Jede2014-04-30 12:05:272014-04-30 12:05:27Ermittlungsakten sind nicht spaßfrei
Taugt nichts, kostet aber sehr viel Geld, das Geld der Rechtsanwälte. 17,9 % der erledigten Verfahren wurden durch Schlichtungen und interne Einigungen beendet.
Und dieses Zitat der Schlichterin sagt alles:
Schlichtung ist nicht nur Verbraucherschutz. Die Rechtsanwälte haben Verantwortung im Rechtsstaat übernommen, indem sie selbst und auf eigene Kosten eine Schlichtungsstelle eingerichtet haben. Die Anwaltschaft beobachtet sich selbst, erkennt Schwachstellen und versucht gegenzusteuern.
Früher war alles besser! Die Kühe hatten noch größere Köpfe, waren nicht lila und die Handhabung der Zustellungen war anders (besser).
Früher war die automatische Datenverarbeitung bei den Gerichten und Rechtsanwälten noch nicht so verbreitet, und für eine Zustellung von Schriftstücken, also den Nachweis des Zugangs dieser Schriftstücke, war Arbeit zu leisten.
Es wurden Zustellungskarten verwandt, bei denen zwar einiges vorgedruckt war, aber es war ein gewisser Aufwand zu betreiben, um diese Karte auszufüllen. Der Anwalt, dem zugestellt wurde, mußte in die Lage versetzt werden, nur noch das Datum einzufügen, zu unterschreiben und die Karte (im wesentlichen auf Kosten des Absenders) zurückzusenden.
War die Karte nicht frankiert oder nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, mußte der Anwalt an der Zustellung nicht mitwirken und dem Absender nur mitteilen, daß er an nicht ordnungsgemäßen Zustellungsversuchen nicht mitwirkt. Das hatte disziplinierende Wirkungen.
Heutzutage haben sich die Vorschriften und die Arbeitsweise der Gerichte und der Anwälte ein wenig geändert. Die „vorbereiteten“ Empfangsbekenntnisse werden quasi auf Knopfdruck erstellt und können „einfach“ auf das Fax gelegt und zurückgesandt werden.
Wir stellen seit Jahren eine stetige Zunahme der Übersendung von Schriftstücken per Empfangsbekenntnis fest. Diese Zustellungen sind aber für den Empfänger mit ziemlich viel Arbeitsaufwand verbunden, der regelmäßig nicht vom geringst entlohnten Mitarbeiter, sondern von der Bürovorsteherin erbracht wird.
Und das ist dann besonders ärgerlich, wenn es einer Zustellung nicht bedurfte, sondern der Kollege oder der Richter gedankenlos die Zustellung des Schriftstückes verfügte. Ärgerlich, weil die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnis die Mitwirkung an der Erstellung einer amtlichen Urkunde ist, die z.B. für die Zwangsvollstreckung verwendet wird. Und die Prüfung des Empfangsbekenntnisse erfordert vielzählige Einzelschritte. Jede der Angaben muß geprüft werden.
Stimmen die Parteibezeichnungen und die Aktenzeichen?
Ist das zugestellte Schriftstück hinreichend und zutreffend bezeichnet?
Ist beispielsweise die als vollstreckbare Ausfertigung bezeichnete Urkunde tatsächlich eine Ausfertigung und mit richtiger Klausel versehen?
Ist die Urkunde vollständig, fehlen ggf. Seiten?
Stimmt die angegebene Faxnummer des Empfängers mit unseren Unterlagen überein oder versenden wir aus Versehen an die Bild-Zeitung? Nicht selten entspricht die für die Rücksendung des Faxes angegebene Rufnummer nicht der Absenderkennung des zuzustellenden Schriftsatzes.
Es gibt noch mehrere Prüfschritte, die wir hier aber nicht weiter ausführen wollen
Die Zustellung per Empfangsbekenntnis dient allein dazu, die Kosten des Absenders gering zu halten und einen schnellen Nachweis der Zustellung zu erhalten. Denn ansonsten muß die Zustellung per Gerichtsvollzieher oder Gerichtswachtmeister erfolgen.
Gegen das vereinfachende Verfahren ist nichts einzuwenden. Es setzt aber auch voraus, daß es einer Zustellung des Schriftsatzes bedarf. Die Masse der anwaltlichen Schriftsätze muß nicht zugestellt werden.
Also, liebe Richterinnen und Kolleginnen: Wir wirken gerne an Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis mit und nutzen dieses Verfahren auch. Bevor Sie jedoch die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis verfügen, bedenken Sie bitte, ob prozessual tatsächlich die Zustellung erforderlich ist. Stöber beschreibt das im Zöller, 29. Aufl., § 165 RN 2 ZPO knackig:
Nur formlose Mitteilung erfolgt, wenn es auf die Information des Adressaten ankommt, ohne dass damit unmittelbare Rechte, Pflichten oder prozessuale Wirkungen für ihn begründet werden (vgl. … ).
Anlaß für diesen Beitrag ist mein Lieblingskollege Rudi Ratlos, der mir in einem PKH-Verfahren seinen Schriftsatz per Fax übersendet, nicht die Sollvorschrift des § 174 II S.2 ZPO beachtet, das mit übersandte Empfangsbekenntnis den Schriftsatz nicht mit dem Datum bezeichnet, das gerichtliche Aktenzeichen nicht aufführt und den Schriftsatz auch noch mit der Post übersendet, so daß er sich nun viermal in der Akte befindet. Er weiß aus seiner Ausbildung vor 20 Jahren noch, daß der Anwalt aus Kollegialität eine einfache Abschrift für den Mandanten des Kollegen beifügt.
Aaargh!
Ich habe ihn aufgefordert, mir die Zustellung zu bescheinigen, § 195 II S.3 ZPO. Sicherlich wird ihn die Aufforderung überfordern.
Dem Jäger wurde ein waffenrechtlicher Verstoß vorgeworfen. Der Strafrichter hat von einer Verurteilung abgesehen und ihn verwarnt. Jeder Strafverteidiger weiß (oder sollte es wissen): ab einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen ist der Jagdschein und die Waffenbesitzkarte futsch!
Im Gesetzgebungsverfahren hat der Bundesrat eine Lücke für Spezialfälle gesehen, beispielsweise den ständigen Verstoß gegen waffenrechtliche Bußgeldvorschriften, und wollte auch für diese Fälle den Waffenbehörden die Möglichkeit einräumen, die erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse zu widerrufen; widerrufen werden können auch die Erlaubnisse derjenigen, die
5. wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften eines der in Nummer 1 Buchstabe c genannten Gesetze verstoßen haben.
Messerscharf argumentieren nun einige Behörden, daß ein Verstoß gegen waffenrechtliche Strafvorschriften immer gröblich ist und widerrufen unter Bezug auf Nr. 5 der Norm die Erlaubnisse.
https://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gif00Andreas Jedehttps://www.drschmitz.de/wp-content/uploads/2008/08/logo_g.gifAndreas Jede2014-04-10 18:03:282014-04-10 18:03:28Das wollte der Gesetzgeber nicht
Wir haben schon oft darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber den Widerruf als Regelfall anordnet, wenn der Erlaubnisinhaber zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen oder mehr verurteilt wurde und auch darauf verwiesen, daß manche Behörden auch unterhalb dieser Grenze widerrufen: hier!
In einer Eilentscheidung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg heute, am 10.04.2014 – 1 B 243/14 MD – die Entscheidung der Waffenbehörde gehalten, die einem Jäger die Erlaubnisse entzogen hat, obwohl das Strafgericht von einer Verurteilung abgesehen hat und ihn „nur“ verwarnt und sich eine Verurteilung vorbehalten hat. Das ist die denkbar geringste „Sanktion“ im Strafrecht, von einer Einstellung einmal abgesehen[1]. Für jeden Strafverteidiger im Waffenstrafrecht ein Grund zu feiern.
Nun hat der Jäger viel Geld für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu bezahlen, das mit keinem Wort auf die rechtlichen Argumente eingegangen ist. Vom Spannungsverhältnis zwischen § 5 II Nr. 1 WaffG und § 5 II Nr. 5 WaffG ist in der Entscheidung nichts zu lesen. Obwohl wir dies ausdrücklich problematisierten:
Der Gesetzgeber hat für die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit in § 5 Abs. 2 Nr. 1c) Waffengesetz eine klare Wertungsvorgabe gegeben:
Danach besitzt die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, wer wegen einer Straftat nach dem Waffengesetz zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Im Umkehrschluss: Wer wegen einer – auch vorsätzlichen – Straftat nach dem Waffengesetz zu einer Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen verurteilt wurde, unterfällt nicht der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit.
Unter der Ägide dieser Vorschrift besteht für unseren Mandanten keine Regelvermutung der Unzuverlässigkeit! Er ist nicht wegen einer Straftat nach dem Waffengesetz verurteilt worden.
Konsequent haben Sie daher in Ihrer Anhörung auf § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG abgestellt, wonach die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht besitzt, wer gröblich gegen das Waffengesetz verstoßen hat.
Diese Vorschrift kann jedoch nur im Kontext mit der zuvor genannte Norm angewandt werden.
Einerseits soll ein einmaliger gröblicher Verstoß gegen das Waffengesetz die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit herbeiführen; andererseits führt eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 59 Tagessätzen wegen einer Straftat nach dem Waffengesetz (die stets gröblich ist) nicht zur Regelvermutung der Unzuverlässigkeit.
Dies ist ein offensichtlicher Widerspruch.
Sofern die Verwaltungsbehörde Nr. 5 der Norm konsequent anwendet, verbliebe für Nr.1 c) der Norm – in der Alternative der Geldstrafe – kein eigenständiger Anwendungsbereich. Eine derartige Auslegung widerspräche höherrangigem Recht.
Der offensichtliche Wertungswiderspruch kann nur mit einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes aufgelöst werden. Nr. 5 der Norm ist vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand vorgesehen worden.
Die gesetzgeberische Wertungsvorgabe findet sich in Nr. 1c), wonach Straftaten gegen das Waffengesetz mit der Rechtsfolge einer Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen nicht zur Regelvermutung der Unzuverlässigkeit führen.
Dem entspricht der Gesetzesentwurf der Bundesregierung[2], der den Auffangtatbestand der Nr. 5 nicht vorsah. Die Stellungnahme des Bundesrates sah als Grenze 30 Tagessätze vor.
„Eine Absenkung der Strafmaßgrenze auf 30 Tagessätze würde in diesem Sinne eine Zurückstellung der öffentlichen Sicherheitsinteressen weit gehend vermeiden. Tatbestandlich von der Regelvermutung ausgeschlossen wären dann nur noch (Erst-)Verurteilungen, die tatsächlich einen außergewöhnlich geringfügigen Strafausspruch aufweisen und daher die allgemeine Unterstellung eines Bagatellfalls auch sachlich rechtfertigen.“
Auch der Bundesrat stellte demgemäß in erster Linie auf den Straffolgenausspruch ab, sah jedoch die Bagatell – Grenze bei 30 Tagessätzen, bei denen die Regel – Unzuverlässigkeit nicht gegeben sei.
Der Gesetzgeber konnte sich dieser Ansicht nicht anschließen.
In seiner Stellungnahme[3] wies der Bundesrat auf eine Regelungslücke hin, die die später Gesetz gewordene Nr. 5 der Norm schließen sollte:
„Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmekonstellationen, in denen derartige Verstöße unter Umständen die zur absoluten Unzuverlässigkeit führenden Prognoseentscheidungen nach Artikel 1 § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Entwurfs stützen könnten, wären somit nicht sanktionierte oder „nur“ bußgeldbewehrte Rechtsverletzungen in den genannten Rechtsgebieten waffenrechtlich nicht mehr zuverlässigkeitsrelevant. Daneben würde eine unveränderte Umsetzung des Entwurfs selbst strafbare Handlungen in diesen Bereichen dann vollständig einer abschließenden ordnungsbehördlichen Bewertung durch die Waffenbehörden entziehen, wenn die Verfolgung dieser Straftaten durch die hierzu berufenen Behörden und Gerichte auf Grundlage dortiger spezifischer Bewertungen (z. B. nach den §§ 153 ff. § 154 der Strafprozessordnung) eingestellt worden ist. Für die umfassende Beurteilung eines Antragstellers oder Waffenbesitzers unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr ist jedoch nach wie vor eine Berücksichtigung auch derartiger Vorgänge unverzichtbar. So muss es auch künftig möglich sein, beispielsweise Waffenbesitzer, die insbesondere wiederholt oder gar fortlaufend ihren Anzeige-, Vorlage-, Auskunfts- oder sonstigen waffenrechtlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommen und hierdurch jede effektive Kontrolle des privaten Waffenbesitzes gefährden, nicht nur mit Bußgeldern zu belegen, sondern auch im Hinblick auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit kritisch zu überprüfen (ggf. mit der Folge der Unterbindung eines weiteren Umgangs mit Waffen und Munition). Auch Straftaten in den o. g. Bereichen darf nach einer strafprozessualen Einstellung nach wie vor nicht automatisch, sondern nur auf Grundlage einer ordnungsbehördlichen Einzelfallprüfung die Zuverlässigkeitsrelevanz innerhalb des Waffenrechts abgesprochen werden.“ (Hervh. d.d.Verf.)
Die Bundesregierung und der Gesetzgeber haben dem Vorschlag zugestimmt.
Dies verdeutlicht, dass im hier relevanten Bereich zwischen beiden Normen ein Regel – Ausnahmeverhältnis besteht. Im Regelfall führt eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz mit der Rechtsfolge einer Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen nicht zur Regelvermutung der Unzuverlässigkeit.
Erst wenn besondere Umstände eines Verstoßes gegen Strafvorschriften des Waffengesetzes hinzutreten, die vom Strafgericht nicht gewürdigt wurden, beispielsweise, weil eine Einstellung ergolgte, ist der Verwaltungsbehörde die Entscheidung nach Nr. 5 eröffnet.
Derartige besondere Merkmale liegen nicht vor! Insbesondere ist das Verfahren nicht eingestellt worden. Der nach unserer Rechtsordnung dazu berufene Richter hat ein Urteil gefällt.
Ist es von einer Kammer zu viel verlangt, sich darauf argumentatorisch einzulassen? Das ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das Oberverwaltungsgericht. Und es wird den Strafgerichten noch mehr Arbeit machen, denn nun muß der Beschuldigte eines waffenstrafrechtlichen Verfahrens grundsätzlich mit dem Widerruf seines Jagdscheines rechnen, egal wie gering die Strafe auch ist.
In erster Linie ist die Entscheidung natürlich eine Verletzung des Grundrechtes auf rechtliches Gehör, Art 103 I GG.[4]
[1]Die aus den Gründen des § 5 II Nr. 5 (siehe unten) nicht tunlich ist↩
[4]Es ist jedoch nicht gehalten, sich in den schriftlichen Urteilsgründen mit jedem Vorbringen eines Prozeßbeteiligten, insbesondere mit sämtlichen Rechtsausführungen, ausdrücklich zu befassen. Vielmehr kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, daß das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfGE 28, 378 <384>; 51, 126 <129>; Urteil vom 13. Mai 1976 – BVerwG 2 C 26.74 – m.w.N.). (BVerwG, Beschluss vom 11. März 1997 – 2 B 106/96 –, juris)↩
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